Anhörung zur Änderung des Schulgesetzes

Stellungnahme des SLV zu der Anhörung zur 14. Änderung des Schulgesetzes des Landes Sachsen–Anhalt in den Drs. 6/1149 und 6/1165 am Mittwoch, den 11. Juli 2012

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
sehr geehrte Damen und Herren,

in meiner Stellungnahme beziehe ich mich hauptsächlich auf den Paragraphen 5b zur Änderung des Schulgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt, der dem Sekundarschullehrerverband besonders wichtig erscheint.

Die Änderung des neuen Schulgesetzes klingt zunächst gut. Sie erweckt den Eindruck, dass man alle Probleme der Schulen, der Schüler und der Eltern in Zukunft mit der Einführung einer neuen Schulform bewältigen kann. Der Leistungsdruck würde aufgehoben, endlich werden alle Schüler gleich behandelt. Doch lässt sich das so einfach durch eine weitere Schulform lösen?

Der Sekundarschullehrerverband startet seine neue Mitgliederwerbung mit den Worten:

Lernen, lehren, helfen in einer modernen, gut ausgestatteten Sekundarschule ohne überflüssige, unüberlegte Reformen.

Dieser Satz zeigt sehr deutlich, dass selbst die bewährte Sekundarschule noch nicht umfassend gut ausgestaltet ist. Einige Sekundarschulen haben sich auf den Weg zur Ganztagsschule gemacht, doch die Fördertöpfe konnten nur die schnellsten Schulen ausschöpfen, den übrigen teilte man bisher mit, es fehle an Geld. „Wenn ihr Ganztagsschule sein wollt, dann müsst ihr die Ansprüche mit eigenen Kräften meistern,“ hieß es bis zum letzten Schuljahr.

Die Schullandschaft in Sachsen-Anhalt ist heute schon breit gefächert, gemeinsames Lernen gibt es an der Gesamtschule und auch an der Sekundarschule. Selbst Binnendifferenzierung des Unterrichts ist keinesfalls neu und wird an den Sekundarschulen schon seit Jahren geübt.

Bisher lernen an den Sekundarschulen Hauptschüler, neuerdings vermehrt Förderschüler und Realschüler gemeinsam. Schon jetzt stoßen die Lehrkräfte des Öfteren an Grenzen. Es gibt zwar Bücher mit Binnendifferenzierung, trotzdem muss der Lehrer mit großem Material- und Zeitaufwand Lücken schließen. An den Gemeinschaftsschulen sollen zukünftig aber nicht nur Haupt- und Realschüler, sondern auch Förderschüler mit einer Vielfalt von Behinderungen und außerdem Gymnasialschüler gleichermaßen zu bestmöglichen Leistungen gebracht werden.

Gemeinsames Lernen ist ein erstrebenswertes Ziel, stellt aber höchste Anforderungen an räumliche, sachliche und vor allem personelle Ressourcen.

Auch die Gemeinschaftsschule wird die Quote der Schulabbrecher nicht vermindern können, ganz im Gegenteil werden sich beim gemeinsamen Lernen die Frustrationen noch verstärken. Lernmotivation entsteht nur dann, wenn man entsprechend seiner Begabungen gefördert wird.

Eine Leistungsspitze werden aber beim gemeinsamen Lernen nur die Gymnasialschüler bilden können. Damit wird auch der Realschüler ins Mittelfeld abfallen und die Hauptschüler bilden das ihnen bereits bekannte Schlusslicht. Fehlende Erfolge, schlechte soziale Bedingungen können also auch so nicht ausgeglichen werden.

Das gegenseitige Helfen ist ein weiteres Argument für „Gemeinsames Lernen“. Die Sozialkompetenz wird dadurch gestärkt, der Bildungsauftrag des Gymnasiums wird dann aber nur noch auf die gymnasiale Oberstufe beschränkt sein. Das bedeutet, die privaten Gymnasien werden einen erheblichen Zulauf bekommen. Sachsen-Anhalt wird weiterhin am Ende des Bildungsgefälles verharren.

Der Sekundarschullehrerverband ist für Inklusion, wenn das Land Sachsen-Anhalt die finanziellen Mittel für die hohen Anforderungen an räumliche, sachliche und personelle Ressourcen erfüllt.

Pro Klasse muss mindestens ein Förderschullehrer zugeteilt werden, auch wenn es sich nur um ein Kind handeln sollte, das Förderbedarf benötigt.

Deshalb fordert der Sekundarschullehrerverband eine moderne Ausstattung für alle Sekundarschulen, die Beibehaltung des bereits nach dem alten Schulgesetz §3 bestehenden gegliederten Schulsystems, die Konzentration und Bündelung aller personellen und finanziellen Möglichkeiten in den bereits vorhandenen Schulformen.

Der Sekundarschullehrerverband schließt sich den Ausführungen von Frau Prof. Dr. Schlenker-Schulte (siehe Anlage) an.

Claudia Diepenbrock,
Landesvorsitzende Sekundarschullehrerverband

Anlage:

Fehlender Schulabschluss, mangelnde Ausbildungsreife,
Fachkräftemangel – schlechter Start schon im Kindergarten!?

Schon jetzt haben über 12 % der Schüler keinen Schulabschluss.

Die KiFöG-Novelle verschlechtert Startchancen durch Streichung der flächendeckenden Sprachstandsfeststellung mit nachfolgender Sprachförderung.

Hören – Sprechen – Lesen – Schreiben sind die Basis aller Bildungsprozesse und des gesellschaftlichen Miteinanders.

Qualifizierte Sprachförderung von Anfang an ist der Schlüssel aller Bildungsprozesse.
Qualifiziertes Personal ist der Schlüssel für eine qualifizierte Sprachförderung.

Wir fordern

– eine landesweite „Qualifizierungsoffensive Sprachförderung“ für alle Erzieherinnen und Erzieher

– eine fundierte Ausbildung aller Grundschul-Lehrkräfte im Bereich Sprache und Kommunikation, um Therapieintegration in den Unterricht sicherzustellen

– den Erhalt von Sprachheilschulen bis zum erfolgreichen Abschluss der „Qualifizierungsoffensive Sprachförderung“

– Sicherstellung der Referendariatsplätze für Lehramts-Anwärterinnen und -Anwärter der Förderpädagogik mit dem Schwerpunkt Sprachbehindertenpädagogik

Wir fordern

– eine Beibehaltung der Sprachstandsfeststellung und -förderung in § 5 (2) a – d KiFöG und § 37 (2) a – d Schulgesetz

– eine fachlich fundierte, breite Diskussion und Evaluation des bisherigen Sprachstands-Feststellungs-Verfahrens

– den Erhalt der landesfinanzierten Sprachförderung für Kinder mit Sprachauffälligkeiten im Vorschulalter!

Wir fordern, dass das Land Sachsen-Anhalt die UN-Behindertenrechtskonvention, Artikel 24 (Bildung) in allen seinen Absätzen ernst nimmt und „…wirksame individuell angepasste Unterstützungsmaßnahmen …“ (UN-Behindertenrechtskonvention Artikel 24, 2 e) in Kindergarten, Grundschule und Sekundarstufe sicherstellt.

Prof. Dr. Christa Schlenker-Schulte, Dr. Tatjana Kolberg, Vera Oelze Dr. Susanne Wagner,
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Philosophische Fakultät III Erziehungswissenschaften,
Institut für Rehabilitationspädagogik, Fachrichtung Sprachbehindertenpädagogik

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